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Was denkt der Papst vom Kreuz Christi?

Ein Kommentar von Bernhard Kaiser

Vor bald vierzig Jahren hat Joseph Ratzinger in seiner vielgelesenen Einführung in das Christentum (München: Kösel-Verlag, 1968), die nun erneut aufgelegt worden ist (Augsburg: Weltbild, 2005), das Kreuz Christi so erklärt:

"Damit ist nun im Grunde auch schon die Frage beantwortet, von der wir ausgegangen sind, ob es nicht ein unwürdiger Gottesbegriff sei, sich einen Gott vorzustellen, der die Schlachtung seines Sohnes verlangt, damit sein Zorn besänftigt werde. Auf eine solche Frage kann man nur sagen: In der Tat, so darf Gott nicht gedacht werden. Aber ein solcher Gottesbegriff hat auch nichts mit dem Gottesgedanken des Neuen Testaments zu tun." (a.a.O. S. 274).

Solche Töne sind uns aus der modernen evangelischen Theologie seit weit mehr als hundert Jahren zur Genüge bekannt. Der Hallenser Erweckungstheologe (!) August Tholuck sagte 1823 (!) diesbezüglich nichts anderes, genauso wie unser Zeitgenosse Eugen Drewermann, dem bekanntlich die kirchliche (katholische) Lehrerlaubnis entzogen worden ist. Auch bei Ratzinger findet sich die sattsam bekannte Polemik gegen die Genugtuungslehre des Anselm von Canterbury (1033-1109), nach der Gott in seinem Zorn das Opfer seines Sohnes zur Genugtuung gefordert habe; da wird die biblische Aussage ignoriert, daß Jesus ein Sühnopfer sei in seinem Blut (Röm 3,25). Die biblische Bewertung des Blutes als Sühnemittel und Lösegeld, die die Kirche über die Jahrhunderte hinweg geteilt hat, wird verneint. Ratzinger nimmt auch nicht wahr, daß Jesus den Fluch des Gesetzes, den Gott über uns Menschen ausgesprochen hat, auf sich genommen hat (Gal 3,13). Mit anderen Worten, das Werk Jesu wird nicht als Erfüllung des alttestamentlichen Gesetzes wahrgenommen. Es ist nicht das stellvertretende Strafleiden, wie es prophetisch in Jesaja 53 verkündigt wird.

Dagegen ist das Werk Jesu für Ratzinger ganz ähnlich wie bei der großen Schar moderner Protestanten eine Liebeserklärung Gottes, eine Erfüllung des Menschseins Jesu als Mensch für andere in ihrer radikalsten Form, nämlich in der Form der Selbsthingabe in den Tod. In ihm werde das "Prinzip Für"" als "das eigentliche Grundgesetz der christlichen Existenz" ausgedrückt. Mit diesem "Für", das ganz biblisch klingt, ist indes nicht die Stellvertretung gemeint, sondern eben die völlige Hingabe an den Menschen und diese zugleich als Bespiel für den Christen. Das entspricht im übrigen dem Thema der ersten Enzyklika des Bayern unter dem Titel Deus charitas est (Gott ist Liebe), die im vergangenen Jahr erschienen ist.

Natürlich ist das Werk Jesu auch ein Ausdruck der Liebe Gottes zu den Menschen. Die Bibel sagt das ja in großer Klarheit. Doch diese Liebe ist nach der Schrift nicht ohne die Rechtsforderung des Gesetzes Gottes und den todbringenden Zorn Gottes zu verstehen. Gottes Liebe zeigt sicht ja gerade darin, daß er den Sünder, der Tod und Verdammnis verdient hat, durch das stellvertretende Opfer Christi mit sich versöhnt und begnadigt. Das weit mehr als eine bloße Solidaritätserklärung an den Menschen.

Die moderne Theologie ist nun auf dem römischen Stuhl angekommen. Freilich nicht so aggressiv bibelkritisch wie bei den Protestanten, sondern verblümt mit vielen schönen und spekulativen katholisierenden Anschauungen. Doch nichtsdestoweniger lehrt nun auch der Mann, der in der christlichen Kirche das letzte Wort zu haben beansprucht, im Zentrum der christlichen Lehre entgegen den Aussagen der Schrift.

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