77 Wertsachen. Was gilt heute?
So lautet der Titel eines von Peter Frey, dem Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, herausgegebenen Buches, das kürzlich im Herder-Verlag in Freiburg erschienen ist. Hatte schon der Bestseller seines Kollegen Peter Hahne unter dem Titel Schluß mit lustig das Ende der Spaßgesellschaft festgestellt und die Rückkehr zu konservativen Werten gefordert, so läßt dieses Buch eine Vielzahl von Autoren zum Thema "Werte" zu Wort kommen. Viele der Autorinnen und Autoren sind aus den Medien bekannt, andere kommen aus der Politik, der Wirtschaft, der Kirche oder dem akademischen Bereich oder besitzen einfach aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation die Kompetenz für einen Beitrag. Darunter sind Agnostiker, Protestanten, Katholiken und Moslems, Grüne und Rote, Konservative und Progressive.
Das Buch nimmt konkrete Fragen auf, die aus dem bundesdeutschen Alltag stammen. Da beantwortet ein Spiegel-Redakteur die Frage: "Darf ich mein Kind in einer entfernt liegenden Schule anmelden, weil dort weniger Ausländer sind?" Ein ZDF-Journalist widmet sich der Frage: "Ist es in Ordnung, für 1,99 Euro in Urlaub zu fliegen?" Der Chefredakteur einer Zeitung diskutiert die Frage: "Sollte man das Rauchen generell verbieten?" Heiner Geißler kommentiert die Frage: "Meine Tochter spricht mich seit einiger Zeit mit dem Vornamen und nicht mehr mit Papa" an. Ich kann mich nur schwer daran gewöhnen. Muß ich es als Ausdruck einer reiferen, gleichwertigen Partnerschaft akzeptieren?"
Der Leser findet in jedem der siebenundsiebzig kurzweiligen Aufsätze sachliche und oft persönliche Beiträge, die als Orientierung dienen können. Die Tonart lautet nicht "Man muß" oder "Es darf nicht sein", wobei eine staatliche Reglementierung des jeweils beabsichtigten Verhaltens in der Regel nicht gefordert wird. So bleibt vieles von dem was gelten kann, als Anregung im Raume stehen. Vorschriften im Sinne des biblischen "Du sollst" oder im Sinne eines Gesetzes werden nicht gemacht. Sie würden ja den sich selbst frei bestimmenden Menschen nicht ernstnehmen, würden dirigieren, einschränken und könnten bei abweichendem Verhalten gar Schuldgefühle wecken. So kommt das Buch gerade nicht zu dem, was "gilt", ganz einfach weil es für den selbstbestimmten Menschen nichts geben darf, was "gilt", es sei denn die gebotsfreie Selbstbestimmung und das subjektive Erleben von Werten.
Wenn schließlich ein Psychoanalytiker die Frage diskutiert, "Soll man, wenn man von einer heimlichen Liebschaft eines Teils eines befreundeten Paares erfährt, den anderen Teil informieren?", dann spiegelt dies wohl die Lebenswirklichkeit des ehebrecherischen Bundesbürgers und auch den problematischen Charakter des Ehebruchs wider, aber es zeigt zugleich, daß unsere Gesellschaft es einfach hinnimmt, daß Ehebruch geschieht. Gleiches gilt von dem sich als solchen bekennenden Homosexuellen. Aus konservativ-christlicher Sicht wird an solchen Beiträgen der ethische Bankrott unserer Gesellschaft offenbar und das in einem Buch über Werte. So bleibt das Buch hinter seinem Titel zurück. Gerade darin zeigt sich das Problem in der aktuellen Wertediskussion. Man möchte wieder Werte, die gelten, aber es gibt keine und darf keine geben, die Geltung beanspruchen können es sei denn, man gibt sein anmaßendes Autonomiegebaren auf und kehrt sich zu Gott, dem Schöpfer, und hört auf seine Gebote, die er am Sinai offenbart hat.