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Fundamentalisten und Protestanten

Ein Kommentar von Bernhard Kaiser

Jeder Mensch hat seinen Glauben. Der postmoderne Pluralist glaubt, daß es keine verbindliche Wahrheit gibt, und verweist darauf, daß man keine solche finden oder begründen könne. Der Katholik glaubt, daß schlußendlich der Papst das letzte Wort hat hinsichtlich dessen, was für ihn gilt. Ein rechter Protestant wird sich auf die Bibel berufen und ein Moslem auf den Koran. Der Idealist glaubt, er könne Gott im menschlichen Geist wahrnehmen, und der Positivist glaubt nur das, was er sieht und hält nur dies für wirklich. Bei allen Positionen handelt es sich um vorwissenschaftliche Annahmen, die durch keine Expertenmeinung bewiesen oder widerlegt werden können.

Eine ganz wesentliche Beobachtung ist nun, daß der jeweilige Glaube das Bewußtsein des betreffenden Menschen bindet. Der Mensch baut sein Leben auf seinen Glauben. Der Materialist ist auf das Diesseits, auf sein Wohlergehen und sein schmerz- und problemfreies Leben fixiert, der Katholik hingegen baut auf eine unsichtbare, geistige Wirklichkeit, die ihm im Sakrament begegnet, und der Moslem hält Allah für den Allerhöchsten. Jeder richtet sein Leben danach aus. Jeder investiert Zeit, Kraft und Geld, um wenigstens den Grundlagen seines Glaubens zu entsprechen. Jeder deutet sich und seine Welt von diesen Grundlagen her.

Jeder fühlt sich auch angegriffen, wenn die Grundlagen seines Glaubens in Frage gestellt werden, weil damit sein Lebensentwurf in Frage gestellt wird. Es geht ihm, wie die Bibel sagt, "durchs Herz", wenn ihm die Einsicht vermittelt wird, daß er sich geirrt und sein Leben auf falsche Grundannahmen gebaut hat. Diese Tatsache beweist, daß jeder ein Fundamentalist ist, denn jeder möchte, daß seine Ansicht für wahr gehalten werde. Die oft heftigen emotionalen Reaktionen zeigen, daß es hier um mehr geht als um austauschbare Ansichten.

Wir erleben derzeit in der Öffentlichkeit eine hochbrisante Konfrontation. Während die Pluralisten mit der Macht der Massenmedien seit Jahrzehnten gegen vollkommen gewaltfrei argumentierende Christen vorgehen und in einem vorlauten und vielstimmigen Konzert vortragen, daß feststünde, daß es keine verbindliche Wahrheit gebe, tritt ein in Teilen gewaltbereiter Islam auf die europäische Bühne und fordert sein Recht ein. Instinktsicher werden die religiösen Kritiker des Pluralismus christlicher und moslemischer Herkunft als Fundamentslisten verschrieen. Nur: daß hier der Pluralismus mit seinem dogmatischem Eifer und der Intoleranz des Besserwissers auftritt, zeigt seinen fundamentalistischen Charakter.

Das wird auch in der Kreationismusdebatte erkennbar. Der naturalistische Naturwissenschaftler meint, mit den Mitteln der Wissenschaft das Dasein der Welt erklären zu können. Gewiß, seine Wissenschaft funktioniert, solange er die Prozesse beschreibt, die in dem Bereich ablaufen, der da ist, der Natur, wie er sie vorfindet und den wir aus christlicher Sicht Schöpfung nennen. Doch in dem Moment, wo er nicht nur die Funktionsweisen, sondern das Werden und das Dasein dessen, was da ist, erklären will, verhebt er sich. Er betreibt keine Wissenschaft mehr, sondern Metaphysik oder Religion, auch wenn er meint, dabei seine Wissenschaft anzuwenden. Das wird daran sichtbar, daß er glaubt, die Welt sei aus sich selbst heraus entstanden. Er kann es nicht beweisen. Es ist vielmehr eine vorwissenschaftliche Annahme, die man scheinbar machen kann, ohne gleich religiös zu wirken. Daß er ein Fundamentalist ist, zeigt sich daran, daß er im Namen der Wissenschaft Geltung und damit Wahrheit für seine Ansicht beansprucht, sie mit dogmatischem Eifer vorträgt und neben seiner Ansicht keine andere, etwa den Glauben an einen Schöpfer, gelten lassen will. Er mißbraucht seinen Ruf als Wissenschaftler, Andersdenkende mit dem Prädikat "unwissenschaftlich" als unglaubwürdig darstellen zu können. Offensichtlich ist auch sein Bewußtsein gebunden.

Wie gehen wir als Protestanten mit dem Kampf der Weltanschauungen um? Der Protestant weiß besser noch als der Pluralist, daß der Mensch ins seinem Herzen irren kann und irrt. Nur macht er daraus kein Dogma, daß es keine Wahrheit gäbe. Er hat anhand der Bibel erkannt, daß Gott sich in der von ihr berichteten Geschichte offenbart hat und daß es darum Wahrheit gibt. Aber er weiß aus der Bibel ebenso, daß er diese Wahrheit niemandem aufzwingen kann, weder mit Waffengewalt noch mit der Macht der Medien noch mit psychologischen Tricks. Der Mensch liebt die Lüge viel zu sehr, als daß man ihm die Wahrheit andemonstrieren oder aufzwingen könnte. Es ist vielmehr Gottes Gabe und Werk, wenn ein Mensch zur Umkehr kommt. Nur eins soll der Protestant tun: Gottes Wort zur Zeit und zur Unzeit verkündigen.

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